Der Werkzeugmaschinenbauer Trumpf im schwäbischen Ditzingen könnte sich auf seiner Position als Weltmarktführer bei Stanz- und Lasermaschinen ausruhen. Doch stattdessen treibt das Familienunternehmen die Digitalisierung voran – und die Mitarbeiter ziehen begeistert mit.
Der Werkzeugmaschinenbauer Trumpf in Ditzingen bei Stuttgart ist eines der Unternehmen, für die der Wirtschaftsprofessor und Unternehmensberater Hermann Simon den Begriff „Hidden Champion“ geprägt hat. Gegründet als Hersteller von Metall-Stanzmaschinen gehört Trumpf mittlerweile zu den Weltmarktführern bei industriellen Lasern und schickt sich an, auch beim 3D-Druck ein gewichtiges Wörtchen mitzureden.
Das Selbstbewusstsein dringt den Trumpf-Beschäftigten aus jeder Pore: „Wer mit Blechbearbeitung zu tun hat, der denkt sofort an Trumpf“, sagt Yakup Coskun, Leiter des Bereichs Standardwerkzeuge in deren Hauptwerk in Gerlingen. Dort werden Stempel für die Stanzmaschinen gefertigt, mit denen Kunden von Trumpf überall auf der Welt Blechteile zu Bauteilen, Gehäusen oder auch Lüftungsgittern verarbeiten. Die Kunden brauchen immer wieder Nachschub, weil sich die alten Stempel mit der Zeit abnutzen oder sich ihre Formen mit neuen Produktserien verändern.
Es gibt rund 31 Millionen verschiedene Varianten, von groß bis klein, von rund bis eckig, von schrägen Oberflächen bis zu konvexen. Deshalb ist es unmöglich, alle Ersatzteile zu bevorraten.
Im vergangenen Jahrzehnt mussten die Kunden noch genaue Skizzen einschicken, bevor Trumpf damit beginnen konnte, die gewünschten Teile zu fertigen. Zum Teil kamen die Zeichnungen per Fax, zum Teil gar per Post. Vier Tage später war das gewünschte Teil fertig und konnte zum Kunden geschickt werden.
Im Rahmen der Serie "Digital Heroes" stellt FOCUS Online Unternehmer und Manager vor, die den Wandel durch die Digitalisierung angenommen haben und in ihrem Unternehmen vorantreiben. Dabei stehen nicht kleine Startups im Fokus, sondern etablierte Konzerne und Mittelständler aus der vermeintlichen "Old Economy", die bereits Antworten auf die Veränderungen durch die Digitalisierung gefunden haben - und sie selbst zu ihrem Vorteil nutzen.
Deshalb versuchte Trumpf, den Bestellprozess zu vereinfachen: 2009 konnten sich die Kunden zum ersten Mal auf einer Website einloggen, auf der ihre Daten bereits hinterlegt waren, und so quasi mit der Bestellung die Fertigungsmaschine starten – ähnlich wie beim Internet-Kaufhaus Amazon. Seit 2015 enthält jedes Ersatzteil einen Datamatrix-Produktcode, der einem dreidimensionalen QR-Code ähnelt und in jeden Stempel eingearbeitet wird. Er enthält alle nötigen Informationen für den Fertigungsprozess, was die Produktion der Ersatzteile nochmals beschleunigte. Seit 2017 können die Kunden den Code mit einer App direkt abfotografieren und das Bild hochladen. Danach legen die Roboter in Gerlingen sofort los. Bei Bestellungen bis 14 Uhr wird das Ersatzteil noch am selben Tag per Express an den Kunden versandt. Kunden in der näheren Umgebung beliefert Trumpf direkt.
„Wir haben dadurch die Durchlaufzeit in Gerlingen von vier Tagen auf vier Stunden verkürzt“, sagt Ulrich Faisst. Er ist bei Trumpf als Digital Transformation Officer seit September 2017 zuständig für den digitalen Wandel des Unternehmens. Faisst vergleich die Orderannahme und -Abwicklung in Gerlingen mit einer Bestellung bei Amazon. „Unsere Kunden sind es von ihren privaten Bestellungen gewohnt, dass sie Sendungen jederzeit nachverfolgen können und morgen beliefert werden“, sagt der Manager. „Das erwarten sie auch von uns.“ Für Ersatzteile, die immer wieder benötigt werden, hat sich Trumpf sogar den Dash-Button bei Amazon abgeguckt. Er wird an der Maschine angebracht; drückt der Bediener darauf, wird automatisch eine Bestellanfrage generiert.
Bei Trumpf kann Faisst auf eine Innovationskultur aufbauen, die der langjährige Unternehmenschef und Familiengesellschafter Berthold Leibinger selbst vorlebte: In den 70er Jahren sah Leibinger auf einer USA-Reise seinen ersten Laser und beschloss, diese Technologie neben den klassischen Stanz- und Biegemaschinen zu einer neuen Säule seines Unternehmens zu machen. Heute ist Trumpf bei Fertigungslasern Weltmarktführer. Unter der Führung seiner Tochter Nicola Leibinger-Kammüller ist Trumpf nun auch beim 3D-Druck vorne dabei und hat erste Maschinen für groß-industrielle Anwendungen dieser Technik entwickelt.
Darüber, dass Trumpf keinen Zukunftsmarkt verpasst, wacht die Familie höchstpersönlich. Mathias Kammüller, Ehemann der Chefin, treibt als Chief Digital Officer die Vernetzung höchstpersönlich voran. Er kümmert sich bei Trumpf nicht nur um die Digitalstrategie, sondern auch um neue digitale Geschäftsmodelle wie die im Herbst 2015 gegründete Plattform Axoom. Auf diesem Online-Marktplatz handeln Großunternehmen und Start-ups nach dem Amazon-Prinzip mit IT-Lösungen für die Industrie. Zu den Kunden gehören Unternehmen aus der Automobilindustrie und der Tech-Branche, etwa Daimler oder das japanische Technologieunternehmen Konica Minolta. Peter Leibinger, der Bruder von Nicola Leibinger-Kammüller, ist verantwortlich für Forschung und Entwicklung und den Aufbau neuer Geschäftsfelder. Er treibt Innovationen wie den 3D-Druck oder die Extrem-Ultraviolett-Laser voran, die seit kurzem noch viel kleinere Microchips möglich machen.
„Die Unternehmerfamilie möchte auch beim Thema Digitalisierung selbst gestalten“ sagt Faisst. „Wir warten nicht, bis andere uns treiben.“ Ständige Anpassungsfähigkeit erwartet das Unternehmen auch von seinen Mitarbeitern. Im Werk Gerlingen bestückt Jens Mayer gerade einen Roboter, der die Stanzstempel schleift und poliert. der 26-jährige hat bei Trumpf ursprünglich als Lagerist angefangen, ging dann ins Marketing und ist heute ein „Prozess Owner“, wie Faisst das nennt: Er könnte jede Maschine im Werk bedienen und selbst programmieren. Den Ausbildungsberuf dazu gibt es im Grunde gar nicht. Mitarbeiter wie Mayer sind es gewohnt, dass sie sich alle paar Jahre weiterbilden, im Zweifel auch in völlig neue Tätigkeitsbereiche hinein.
Das ist auch nötig, denn einerseits fallen durch die Digitalisierung und den verstärkten Einsatz von Robotern auch in den Trumpf-Werken regelmäßig traditionelle Aufgaben weg. Doch dafür kommen neue hinzu. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2016/2017 stieg der Auftragseingang bei Trumpf um 21 Prozent. Um die zunehmenden Bestellungen abarbeiten zu können, wird die Produktion stetig erweitert. Und dafür setzt Trumpf wenn es geht lieber umgeschulte Stammkräfte ein, als sich in Zeiten des Fachkräftemangels ständig in den Wettlauf um neue Mitarbeiter stürzen zu müssen.
In Zukunft will Trumpf neben der reinen Herstellung von Werkzeugmaschinen und Lasern stärker auf eine Kombination aus Hardware und Software setzen. Dazu wird nun die gesamte Organisation noch einmal einem Check unterzogen: „Jede unserer Sparten hat ihre Prozesse für sich optimiert. Doch jetzt gucken wir nochmal von oben drauf“, sagt Faisst. Es gehe nun darum, das Silodenken aufzubrechen und digitale Schnittstellen zu schaffen. „Wir wollen in unserer Branche führender digitaler Anwender für neue Geschäftsprozesse sein“, sagt der Manager. Das schlägt sich bereits in der Zusammensetzung der Belegschaft nieder: „Vor zwei Jahren haben wir zum ersten Mal mehr Softwarenentwickler als Ingenieure eingestellt“, berichtet Faisst.
Die hauseigne IT-Tochter Axoom mit Sitz in Karlsruhe entwickelt Software und bildet die Schnittstelle zum vielzitierten „Internet of Things“. Dort kommunizieren die Maschinen direkt miteinander. Etwa der Roboter, der am Wochenende selbständig anfängt, Ersatzteile zu produzieren, weil er erfahren hat, dass ein bestimmtes Teil im Lager knapp wird. Oder die Werkzeugmaschine, die dem Fabrikleiter meldet, dass für sie ein Ersatzteil bestellt werden sollte, weil es sich seiner Abnutzungsgrenze nähert. „Predictive Maintenance“ – vorhersehbare Wartung, heißt das im Branchen-Slang. „Das machen wir nicht, weil es technisch geht, sondern weil wir alle Prozesse vom Kunden her denken“, erklärt Faisst. „Unser Kunde ist zum Beispiel Fabrikleiter. Der hasst es, wenn sein Outputziel in Gefahr gerät, nur wenn plötzlich eine Maschine ungeplant stehenbleibt. Der ruft dann unser Call Center an und legt sich im Zweifel selbst mit dem Handy am Ohr drunter, um das Ding zu reparieren. Unser Ziel ist es, dass wir solchen Menschen durch Predictive Maintenance einen Teil ihrer Probleme abnehmen, indem sie gar nicht erst entstehen.“
Auch andere, viel größere Unternehmen wie ABB oder Siemens gehen diesen Weg. Trotzdem glaubt man bei Trumpf, dass es sich lohnt, digitale Services anzubieten. Gleichzeitig werden – ganz im Sinne der Kunden – offene Schnittstellen für Partner geschaffen. Ziel ist es, den gesamten Fertigungsprozess digital zu vernetzen: von der Kundenanfrage, über die Rohmaterialbestellung, den Versand der fertigen Teile bis hin zur Rechnungslegung. „Wir haben für Kunden Effizienzsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich bei Output und Marge erzielen können, weil Prozesse besser ineinandergreifen, die Auslastung der Maschinen optimiert wird oder ganze Fabriken quasi vorhersehen können, wann Belastungsspitzen drohen“, erklärt Faisst die Vorteile.
Dass das in der Praxis tatsächlich funktioniert, zeigt Trumpf in seiner Vorführfabrik in Chicago. Dort können Kunden ihre eigenen Fertigungsaufträge ins System eingeben und live zusehen, wie diese von Stanzen, Pressen und Lasern produziert werden. „Einige von denen sind so begeistert, dass sie unsere Digital Factory am liebsten sofort 1:1 bei sich aufbauen würden“, sagt Faisst.
Zur Marktführerschaft gehört bei Trumpf auch eine Alarmbereitschaft im Dauermodus. „Wir stellen uns ständig die Frage: Kann jemand von außen unsere Wertschöpfungskette unterbrechen? Und wo können wir etwas hinzufügen, um gerüstet zu sein“, sagt Faisst. Auf das zweite Thema zahlt eine Mitarbeiter-Initiative mit dem Namen „Internehmertum“ ein, die in der deutschen Industrielandschaft Vorbildcharakter haben dürfte: Angestellte von Trumpf können bei dem Wettbewerb eigene Start-Up-Ideen anmelden und dafür 20 bis 30 Prozent ihrer Arbeitszeit einsetzen. „Da kommt dann natürlich noch der eine oder andere halbe Samstag dazu“, sagt Faisst.
Zehn besonders vielversprechende Ideen wurden Ende Februar dem Management vorgestellt. „Das ist ein bisschen wie in der Fernsehsendung „Höhle der Löwen“, erklärt Faisst. „Wir stellen Fragen, ob das ein tragfähiges Geschäftsmodell ist und ob die Familie da Geld investieren sollte.“ Zwei Projekte kamen eine Runde weiter. Die Mitarbeiter, die die Führung von ihrer Idee überzeugt haben, werden für drei bis sechs Monate ganz von ihrem Job freigestellt und dürfen sich aus dem Unternehmen heraus ein Team zusammenstellen, das sie für die Umsetzung brauchen. „Wenn die Idee groß genug ist, treffen wir da auch harte Entscheidungen und machen das möglich“, sagt Faisst.
Dafür, dass Trumpf bei den Zukunftstrends immer die Nase vorne hat, nimmt die Unternehmensleitung viel Geld in die Hand: „Wir haben im Jahr 2017 zehn Prozent unseres Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert“, sagt Faisst. Zum Vergleich. Bei Siemens, gemessen an der Zahl der Patente eines der innovativsten deutschen Unternehmen, waren es gut sechs Prozent.
Und wie lockt Trumpf für seine digitalen Visionen die Programmierer ins Ländle? Ein Berufsstand, der derzeit weltweit gefragt ist und vielleicht eher von einem Job bei Google oder Amazon träumt?
„Ich glaube, dass es diese spezielle Kombination von Hardware, Software und digitalen Services ist“, sagt Faisst. „Wer bei Trumpf programmiert, arbeitet mit Dingen zum Anfassen. Das ist kein imaginäres Produkt wie vielleicht ein Finanzprodukt. Hier sind Sie Teil der realen Wertschöpfung.“
Im Rahmen der Serie "Digital Heroes" stellt FOCUS Online Unternehmer und Manager vor, die den Wandel durch die Digitalisierung angenommen haben und in ihrem Unternehmen vorantreiben. Dabei stehen nicht kleine Startups im Fokus, sondern etablierte Konzerne und Mittelständler aus der vermeintlichen "Old Economy", die bereits Antworten auf die Veränderungen durch die Digitalisierung gefunden haben - und sie selbst zu ihrem Vorteil nutzen. Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Teile der FOCUS-Online-Serie.
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